Samstag, 3. Januar 2015

Weimar als medialer Ort der TV-Kriminellen


Goethe-Morabilien CI



Weimar – als Jetztort im Tatort für Sonntagabende?




„Der irre Iwan“ gestoppelt und gesendet von mdr

http://www.mdr.de/thueringen/tatort_weimar120.html



Weimar als Stadt der Mörder, Gauner und Go-, pardon: Kommissare?





Ein Thema für GOETHE-Memorabilien....?







                                          Krimi als Tingeltangel:
                                          Bildrechte: MDR/Wiedemann & Berg Television/Anke Neugebauer



Hier aber ge(rech)"räch"tigkeitshalber aus der FAZ-Kritik von Oliver Jungen:


„Tatort“ aus Weimar Mit Goethe im FKK-Club


(...)Konsequenter Irrsinn

In jener Welt verkehrt der windige Stadtkämmerer Iwan Windisch, der eigentlich Trauer zu tragen hätte, denn gleich zu Beginn wird bei einem Überfall auf die Kämmerei seine erst kürzlich - und offenbar nur aufgrund besonderer „Untenrum“-Talente - eingestellte Sekretärin erschossen. Schnell verdichten sich Hinweise, dass das vielleicht kein Zufall war. Die Neue, nicht eben mit Genie gesegnet („Die dachte, Outlook wäre ein Teil von Australien“), hatte wohl einige Feinde im Haus, könnte aber auch der Ehe des irren Iwan gefährlich geworden sein. Umso verwunderter sind die Kommissare, dass die Spur ins Jahrmarktumfeld führt, wo man Caspar Bogdanski (Dominique Horwitz), als Figur noch bekannt aus der letzten Folge, auf der Geisterbahn als Kettensägenclown wiedertrifft.
Auf Klassikerkalauer verzichten die Macher natürlich nicht. Goethe wird frech zum Poesiealbumdichter degradiert, indem Ulmen mit „Achtung: Gedicht“-Blick ausgerechnet die millionenfach auf Weimarer Souvenirschrott gedruckten Simpelverslein „Ich ging im Walde“ aufsagt. Die lyrisch auch nur lauwarme „Ginkgo biloba“-Reflexion - „Ist es Ein lebendig Wesen,/ Das sich in sich selbst getrennt?/ Sind es zwei, die sich erlesen,/ Daß man sie als Eines kennt?“ - ist als Spur dann sogar brandheiß, führt mitten hinein in eine „Amphitryon“ und „Die Wahlverwandtschaften“ zusammenzwingende Doppelgängerhandlung, mit der sich das Drehbuch konsequent in den Irrsinn davonmacht. (...)“

  Da empfiehlt sich mit Hilfe der zitierten Quelle, nicht weiter vermuten, dass der Weimar-Krimi einen latenten Sinn hatte, außer Rüpeleien und Unsinn.



Zum Finale: zur Diskussion, aufbereitet bei mdr:


Goethe zu W e i h n a c h t e n 1772

anton@reyntjes.de

Goethe-Memorabilia XC


Goethe zu Weihnachten? Ja, 1772, JWG an seinen Freund Johann Christian Kestner

Goethe verwandelt später den Freund Kestner zum Albert im Werther:
http://www.goethezeitportal.de/fileadmin/Images/db/wiss/goethe/schnellkurs_goethe/k_3/titelblatt_werther.jpg

An Johann Christian Kestner

                                                                      [Frankfurt, 25. December 1772.]


Cristtag früh. Es ist noch Nacht lieber Kestner, ich binn aufgestanden um bey Lichte Morgens wieder zu schreiben, das mir angenehme Erinnerungen voriger Zeiten zurückruft; ich habe mir Coffee machen lassen den Festtag zu ehren und will euch schreiben biss es Tag ist. Der Türner hat sein Lied schon geblasen ich wachte darüber auf. Gelobet seyst du Jesu Christ. Ich hab diese Zeit des Jahrs gar lieb, die Lieder die man singt; und die Kälte die eingefallen ist macht mich vollends vergnügt. Ich habe gestern einen herrlichen Tag gehabt, ich fürchtete für den heutigen, aber der ist auch gut begonnen und da ist mirs fürs enden nicht Angst. Gestern Nacht versprach ich schon meinen lieben zwey Schattengesichtern euch zu schreiben, sie schweben um mein Bett wie Engel Gottes. Ich hatte gleich bey meiner Ankunft Lottens Silhouette angesteckt, wie ich in Darmstadt war stellen sie mein Bett herein und siehe Lottens Bild steht zu Häupten das freute mich sehr, Lenchen hat jetzt die andre Seite ich danck euch Kestner für das liebe Bild, es stimmt weit mehr mit dem überein was ihr mir von ihr schriebt als alles was ich imaginirt hatte; so ist es nichts mit uns die wir rathen phantasiren und weissagen. Der Türmer hat sich wieder zu mir gekehrt, der Nordwind bringt mir seine Melodie, als blies er vor meinem Fenster. Gestern lieber Kestner war ich mit einigen guten Jungs auf dem Lande, unsre Lustbarkeit war sehr laut, und Geschrey und Gelächter von Anfang zu Ende. Das taugt sonst nichts für die kommende Stunde, doch was können die heiligen Götter nicht wenden wenns Ihnen beliebt, sie gaben mir einen frohen Abend, ich hatte keinen Wein getruncken, mein Aug war ganz unbefangen über die Natur. Ein schöner Abend, als wir zurückgingen es ward Nacht. Nun muss ich dir sagen das ist immer eine Sympatie für meine seele wenn die Sonne lang hinunter ist und die Nacht von Morgen herauf nach Nord und Süd umsich gegriffen hat, und nur noch ein dämmernder Kreis vom abend heraufleuchtet. Seht Kestner wo das Land flach ist ists das herrlichste Schauspiel, ich habe jünger und wärmer Stunden lang so ihr zugesehn hinabdämmern auf meinen Wandrungen. Auf der Brücke hielt ich still. Die düstre Stadt zu beyden Seiten, der Still leuchtende Horizont, der Widerschein im Fluß machte einen köstlichen Eindruck in meine Seele den ich mit beyden Armen umfasste. Ich lief zu den Gerocks lies mir Bleystifft geben und Papier, und zeichnete zu meiner grossen Freude, das ganze Bild so dämmernd warm als es in meiner Seele stand. Sie hatten alle Freude mit mir darüber empfanden alles was ich gemacht hatte und da war ichs erst gewiss, ich bot ihnen an drum zu würfeln, sie schlugens aus und wollen ich solls Mercken schicken. Nun hängst hier an meiner Wand, und freut mich heute wie gestern. Wir hatten einen schönen Abend zusammen wie Leute denen das Glück ein groses geschenck gemacht hat, und ich schlief ein den heiligen im Himmel danckend, dass sie uns Kinderfreude zum Crist bescheeren wollen. Als ich über den Marckt ging und die vielen Lichter und Spielsachen sah dacht ich an euch und meine Bubens wie ihr ihnen kommen würdet, diesen Augenblick ein Himlischer Bote mit dem blauen Evangelio, und wie aufgerollt sie das Buch erbauen werde. Hätt ich bey euch seyn können ich hätte wollen so ein Fest Wachsstöcke illuminiren, dass es in den kleinen Köpfen ein Widerschein der Herrlichkeit des Himmels geglänzt hätte. Die Tohrschließer kommen vom Burgemeister, und rasseln mit Schlüsseln. Das erste Grau des Tags kommt mir über des Nachbaars Haus und die Glocken läuten einer Cristlichen Gemeinde zusammen. Wohl ich bin erbaut hier oben auf meiner Stube, die ich lang nicht so lieb hatte als ietzt. Sie ist mir den glücklichsten Bildern ausgeziert die mir freundlichen guten Morgen sagen. Sieben Köpfe nach Raphael, eingegeben vom lebendigen Geiste, einen davon hab ich nachgezeichnet und binn zufrieden mit ob gleich nicht so froh. Aber meine lieben Mädgen. Lotte ist auch da und Lenchen auch. Sagen Sie Lenchen ich wünschte so sehnlich zu kommen und ihr die Hände zu küssen als der Musier der so herzinnigliche Briefe schreibt. Das ist gar ein armseliger Herre. Ich wollte meiner Tochter ein Deckbette mit solchen Billetdous füttern und füllen, und sie sollte so ruhig drunter schlafen wie ein Kind. Meine Schwester hat herzlich gelacht, sie hat von ihrer Jugend her auch noch dergleichen. Was ein mädgen ist von gutem Gefühl müssen dergleichen Sachen zuwieder seyn wie ein stinckig Ey. Der Kamm ist vertauscht, nicht so schön an Farb und Gestalt als der erste, hoffe doch brauchbaarer. Lotte hat ein klein Köpfgen, aber es ist ein Köpfgen.
Der Tag kommt mit Macht, wenn das Glück so schnell im avanziren ist, so machen wir balde Hochzeit. Noch eine Seite muss ich schreiben so lang tuh ich als säh ichs Tageslicht nicht.
Grüst mir Kielmannseg. Er soll mich lieb behalten.
Der Scheiskerl in Giessen der sich um uns bekümmert wie das Mütterlein im Evangelio um den verlohrnen Groschen, und überal nach uns leuchtet und stöbert, dessen Nahme keinen Brief verunzieren müßte in dem Lottens Nahme steht und eurer. Der Kerl ärgert sich dass wir nicht nach ihm sehn, und sucht und zu necken dass wir seyn gedencken. Er hat um meine Baukunst geschrieben und gefragt so hastig, dass man ihm ansah das ist gefunden Fressen für seinen Zahn. hat auch flugs in die Frankfurter Zeitung eine Rezension gesudelt von der man mir erzält hat. Als ein wahrer Esel frisst er die Disteln die um meinen Garten wachsen nagt an der Hecke die ihn vor solchen Tieren verzäunt und schreit denn sein Critisches I! a! ob er nicht etwa dem Herrn in seiner Laube bedeuten möchte: ich binn auch da.
Nun Adieu, es ist hell Licht. Gott sey bey euch, wie ich bey euch binn. Der Tag ist festlich angefangen. Leider muß ich nun die schönen Stunden mit Rezensiren verderben ich tuhs aber mit gutem Muth denn es ist fürs letzte Blat.
Lebt wohl und denkt an mich das seltsame Mittelding zwischen dem reichen Mann und dem armen Lazarus.
Grüst mir die Lieben alle. Und lasst von euch hören.                J W G.


Post Scriptum:

Quelle:
Goethes Werke. Weimarer Ausgabe, IV. Abteilung, Bd. 2, S. 13-52.
Permalink:
Text und Kommentar aus: JWG: Briefe. Hamburger Ausgabe in 4 Bänden. Bd 1. S. 138-140.
Erläuterungen:
Vorab hatte JWG dem Kestner schon geschrieben, mit der Datenangabe „Dezember 1772“.
*

Lenchen] Helene Buff, geb. 1756, Lottes Schwester, die wahrscheinlich während Goethes Wetzlar-Aufenthalt abwesend war. Vgl. Goethe Brief, der den Glückwunsch zur Vermählung darstellt; als Höhepunkt Goethescher literarischer Abbreviatur eigener Gefühle:
An Johann Christian Kestner
[Frankfurt, zwischen 4. und 9. April 1773.]
Gott seegn euch denn ihr habt mich überrascht. Auf den Charfreytag wollt ich heilig Grab machen und Lottens Sillhouette begraben. So hängt sie noch und soll denn auch hängen biss ich sterbe. Lebt wohl. Grüsst mir euern Engel und Lengen sie soll die zweyte Lotte werden, und es soll ihr eben so wohl gehen. Ich wandre in Wüsten da kein Wasser ist, meine Haare sind mir Schatten und mein Blut mein Brunnen. Und euer Schiff doch mit bunten flaggen und Jauchzen zuerst im Hafen freut mich. Ich gehe nicht in die Schweiz. Und unter und über Gottes Himmel binn ich euer Freund und Lottens.“ (Briefe. Bd. 1. S. 145)i]
– Wer diese religiös-biblische Inhärenz interpretatorisch nachvollziehen kann – von Himmel und Erde, Wüste und Schattenlosigkeit - mag gewappnet für alles Wertherische sein. Die Unterschiede zum alten, alttestamentarischen Wandern im Schutze des Herrn sind elementarii.


Türner] DWB: „thürmer, türmer, m. 1) mhd. und md. türner, turner, der thurmwächter (auf dem wacht- oder gefängnisthurme), thurmbläser (...)“, mit Angabe der Goethes-Zitates: „Göthe 8, 123 (der thürmer 42, 160, 397); der türner hat sein lied schon geblasen, ich wachte drüber auf. br. 116 (2, 49); Goethe kannt auch Türmer.“

Gerock] Frankkfurter Kaufmann, Nachbar Goethes

Köpfe nach Raphael] Zwei von ihnen hatte Goethe für Lavaters „Physiognomische Fragmente“ (1775-1778) besprochen.

Musier] Monsieur (unbekannter Mensch)

Kielmannseg] Freiherr von Kielmannsegg, Praktikant vom Wetzlarer Reichsskammergericht

Scheiskerl in Gießen] Christian Heinrich Schmid (1746 – 1800), Kritiker, lehrte seit 1771 Beredsamkeit und Dichtkunst an der Universität Gießen. Vgl., pardon: auf dieser Wiki-Seite wird die Beziehung zu Goethe völlig verschwiegen. Genauere Angaben finden wir bei von Wilpert. 1998. S. 950f.:
http://de.wikipedia.org/wiki/Christian_Heinrich_Schmid

im Evangelio] Lukas 15,8f.: „Vom verlorenen Groschen“:
8 Oder welches Weib ist, die zehn Groschen hat, so sie der einen verliert, die nicht ein Licht anzünde und kehre das Haus und suche mit Fleiß, bis daß sie ihn finde? 9 Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freuet euch mit mir; denn ich habe meinen Groschen gefunden, den ich verloren hatte. 10 Also auch, sage ich euch, wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut. (Epheser 3.10)
fürs letzte Blat] Die Anspielung bezieht sich auf zeitweilige Publikationsvorhaben.
reichen Mann und dem armen Lazarus] Lukas 16,19f.: biblische Narrativa haben für JWG reale Präsenz; er hat in seinem Frühwerk viele biblische Aussagen nicht nur präsentiert, sondern präsentisch realisiert. Vgl. den letzten Brief des sterbenskranken und -willigen Werther mit drei unterschiedlichen religiösen Vergegenwärtigungen, die in der neurotischen Ich-Perspektive begründet sind als Selbstaussage.


iVgl. zur religiösen Metapher des „Wanderns“: http://www.goethezeitportal.de/db/wiss/goethe/prometheus_reinhardt.pdf
iihttp://de.wikipedia.org/wiki/Psalm_23#Der_Text_des_Psalm_23